Roessler Ju

Volkes Stimme und hippe Großstadtcafés

Die Union ist die einzige echte Volkspartei. Damit das so bleibt, muss sie bürgerliche Werte und die Stimmen ihrer Basis wieder ernst nehmen, meint Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler.

Knapp 44 Prozent bei der Bundestagswahl für die CDU und 53,8 Prozent für die sächsische Union bei der Landtagswahl – das waren die ersten Wahlergebnisse, die ich 1990 als Wahlkämpfer miterlebt habe. Und der Stimmenanteil wuchs bei der Landtagswahl 1999 auf knapp 57 Prozent, die faktisch das ganze bürgerliche Spektrum bei der sächsischen Union versammelten.

Natürlich waren das ganz andere Zeiten: Wir hatten ein paar Monate zuvor mit viel Mut ein sozialistisches Regime in die Knie gezwungen, das vielen DDR-Bürgern lange unüberwindbar schien. Soweit, so lange her.

Selbstverschuldeter Vertrauensverlust der Volksparteien

Entscheidend aber war: Mit der friedlichen Revolution zogen für die CDU damals Bürger in die Parlamente ein, die noch kurz zuvor als Pfarrer, Handwerker oder Ingenieure gearbeitet hatten – sie alle einte ihre tiefe Verbundenheit mit denen, die sich gerade die Freiheit erkämpft hatten. Es war die Geburtsstunde der sächsischen Union als einziger echter Volkspartei im Freistaat.

In den letzten Jahren haben die Volksparteien auf allen politischen Ebenen einen massiven Vertrauensverlust erlebt. In Berlin waren es die Banken- und Griechenland-Rettung sowie die Flüchtlingskrise, bei denen übrigens alle Parteien im Bundestag die Rückkoppelung zu einem Teil der Bevölkerung versäumten. Und auch wir haben im Freistaat Fehler gemacht, wie etwa beim Lehrerbedarf.

Jetzt kämpfen wir darum, dass die CDU in Deutschland und in Sachsen eine starke Volkspartei bleibt! Worauf kommt es dabei an?

Den Mut haben, Fehler einzugestehen

Eine Volkspartei muss wesentliche gesellschaftliche Stimmungen und Konflikte jenseits von Berlin-Mitte wahrnehmen und daraus politisches Handeln ableiten. Volkes Stimme ist seltener in hippen Großstadtcafés, wohl aber in den Vereinen, Feuerwehren oder auf der Straße zu hören.

Unser Ministerpräsident Michael Kretschmer und sein Kabinett tun genau das: Sie leisten etwa mit den „Sachsengesprächen“ ein enormes Pensum und gehen dorthin, wo Volkes Stimme – manchmal harsch im Ton – zu hören ist. Auch politisch haben wir umgesteuert, was den Personalbedarf bei Lehrern und Polizisten, aber auch die finanzielle Ausstattung der Kommunen oder den Breitbandausbau angeht. Denn eine Volkspartei, die regiert, muss den Mut haben, Fehler einzugestehen und zu korrigieren. Auf Bundesebene vermisse ich das.

Um als Volkspartei wieder mehr Vertrauen zu gewinnen, müssen wir der Garant für einen starken Staat sein, der Ordnung und Wohlstand sichert. Der Bürger darf nicht den Eindruck haben, dass der Staat sein Falschparken konsequent und zeitnah ahndet, sich aber zugleich überfordert zeigt, wenn es um Abschiebungen oder die Wahrung der inneren Sicherheit geht.

Die Menschen haben ein feines Gespür dafür, wenn politische Eliten und Medien ihnen eine bestimmte Weltsicht verordnen wollen

Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler

Bekenntnis zu Heimat, Werten und Leitkultur

Eine Volkspartei braucht stabile Grundwerte, auch ein Bekenntnis zu Heimat und zu einer Zusammenhalt schaffenden Leitkultur. Denn gerade für die Sachsen – nicht nur im ländlichen Raum – ist Heimat nicht altbacken, sondern sie bietet Identität und Stabilität in einer Zeit des permanenten Wandels. Wir dürfen als bürgerliche Volkspartei konservative Werte, den Schutz der Heimat und den Stolz auf unser Vaterland nicht denen überlassen, die damit Nationalismus und Abschottung meinen.

Aufhören sollten die Volksparteien – insbesondere in Berlin – damit, den Bürgern etwas aufzwingen zu wollen. Die Menschen meiner von 1989 geprägten Generation, gerade in Sachsen, haben ein sehr feines Gespür dafür, wenn politische Eliten und Medien ihnen eine bestimmte Weltsicht verordnen wollen – und wenn diese noch dazu andere, vom vermeintlichen Konsens abweichende Meinungen moralisch aburteilen, oder ganze Städte und Regionen brandmarken.

Politik für Mittelschicht statt ideologische Projekte

Statt ideologischen Projekten muss sich eine Volkspartei stärker den Leistungsträgern in der Mitte der Gesellschaft zuwenden: Menschen, die aus eigener Kraft etwas für sich und ihre Familien geschaffen haben und die mitunter Verlustängste plagen. Diese Mittelschicht muss sich in der CDU vertreten fühlen. Themen wie die Homo-Ehe oder Inklusion haben ihre Berechtigung. Aber wer diese Themen ins Zentrum seines politischen Handelns rückt, der braucht sich nicht zu wundern, wenn die Mehrheit der Bürger vom politischen Glauben abfällt. Denn für das Alltagsleben vieler Deutscher – gerade auch in ländlichen Gegenden – haben sie wenig Relevanz.

Die CDU braucht gerade mit Blick auf die Landtagswahlkämpfe in Brandenburg, Thüringen und Sachsen eine Rückbesinnung auf die Basis. Unser größter Trumpf sind – wie damals 1990 – unsere tief in der Gesellschaft verwurzelten Mitglieder: in Kreis-, Orts- und Jugendverbänden, in den Stadt- und Gemeinderäten und Rathäusern. Diesen bodenständigen Seismographen muss die CDU wieder mehr vertrauen, wenn sie Volkspartei bleiben will – das gilt für Sachsen, aber auch für Berlin.

Infos zum Autoren:

Dr. Matthias Rößler ist Mitglied des CDU-Landesvorstands und Präsident des Sächsischen Landtags. Von 1994 bis 2002 war Rößler Kultusminister und von 2002 bis 2004 Wissenschaftsminister in Sachsen. Er engagierte sich 1989 im Demokratischen Aufbruch und am „Runden Tisch“. 1990 zog Rößler erstmals in den Landtag ein.

Foto: Steffen Giersch